Ein politischer Fortsetzungsroman

Dante, Don Quijote, Faith-Book – Kapitel 1, Teil 4

Dante, Don Quijote, Faith-Book. Roman vom Rande jener Zeit, als die Corona-Pandemie ihr Zerstörungswerk begann

Kapitel 1, Teil 4

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Was anschließend geschah
Beiden war klar, sie mussten sich ungehindert bewegen und sie wollten
einander jene Träume erzählen, welche sie seit Nächten serienweise geträumt
hatten. Jeder sollte erzählen, der andere sie auf ein Diktiergerät aufnehmen,
eine Art Aide-mémoire, aus dem sie ihre späteren Erzählungen würden formen
können. Der eine Traum begann mit einem Verlust an Sinn, Ort und Zeit.
Dante blieb nur sein Ich. Das war so klein wie jenes Pronomen aus einer Silbe,
»ich.« Der Traum des anderen begann als Exzess der Lektüre von heldischen
Abenteuern. Sein zuvor bedeutungsloses Ich wurde dabei größer und größer
und steigerte sich zur universellen Berufung. Daraus folgerten beide für sich,
Dantes Erzählung würde sich auswachsen in etwas so unvergleichlich Großes,
als jemals ein Ich sein oder vorzustellen imstande sein würde. Und der
Spanier folgerte, sein Protokoll wäre die Erzählung eines beständig
zunehmenden Ruhms, erstritten auf Schlachtfeldern gegen den Hinterhalt des
Übersinnlichen.
Beschäftigt mit diesen Gedanken, wanderten sie ziellos durch Berlin, führten
jeder einen jung verspielten Jack-Russell-Terrier an der Leine, verbeugten sich
dezent, wenn jemand die Hunde allerliebst fand. Sie verbeugten sich –
Achtung! – ebenfalls dezent vor zwei Polizistinnen, denen die Tiere ebenfalls
gefielen und zwinkerten einander zu, wenn diese Beamtinnen verdachtfrei
ihren Weg fortsetzten.
Sie begannen, einander ihre Traumprotokolle zu berichten und vergaßen
darüber die Beobachtung ihrer Mitwelt, die zur bloß beliebigen Umwelt
wurde. Jedoch fehlten weder Dante noch dem aus la Mancha ihre definitiven
Formulierungen. Sie suchen nach dem mot juste jenes Gustave Flaubert, nach
dem rechten Wort, das es nicht gibt, weil das Wort als solches weder recht
und noch unrecht, weder wahr noch falsch ist. »Ich beginne einmal«,
bemerkte Dante.
»Ich weiß nicht, wie mein Traum begann. Mein Leben war irgendwie
entgleist. Der Zug kippte nicht um, er sprang aus dem Gleis. Ich war
unverletzt, die Mitreisenden vermutlich auch. Die meisten dösten vor sich hin.
Ich schlief. Es war Nacht. Ich stieg schlaftrunken aus. Alles war Wald, alles
war Finsternis, alles war Wirrnis. Im Zug, da er nicht weiterfuhr, konnte ich

nicht bleiben, und draußen wartete die Angst der Enge. Kennst du die Angst
der Enge, die Angst in einem Raum der Sinnlosigkeit?« »Vielleicht, aber du
selbst sollst erzählen.«
»In der Tat«, fuhr Dante fort, seit einiger Zeit lebte ich damals, der ich vorher
voller Wagemut war, eine Zeit der Furcht. Furcht wovor? Die bisher gelebte
Zeit hatte ich als stetig empfunden. Das Stetigkeitsbewusstsein schloss für
mich ständiges Misslingen ein; indem ich das Misslingen wettmachte, half es
mir zu weiteren Erfolgen. Doch eines Tages kamen mir erste Zweifel. Je mehr
die Zeit sich zu weiten schien, desto mehr schrumpfte mein Zeitvertrauen. So
schlief ich mit Furcht ein und erwachte eines Tages mit Angst. Angst ist ein
Gefühl der unfassbaren Nähe des Bedrohlichen. Daher, so scheint mir heute,
resultierte meine Traumserie aus meinen Affekten der Furcht und ebenso
Angst.«
Don Quijote bat um Gelegenheit zu Fragen. »Wohin fuhr der Zug?« »Letztlich
in den Tod, so wie jeder lebt, um irgendwann zu sterben. Aber richtig, ich
wollte noch irgendwohin kommen. Vermutlich ans Meer. Denn, wie du weißt,
ich liebe am meisten des Meeres Tremolo und schaukele bei leichtem Wind in
meinem unscheinbaren Boot die Uferwellen entlang.«
Ob er das Entgleisen des Zuges als Unglück erlebte, wollte Don Quijote als
nächstes wissen. »Zunächst schon. Ich sah mich meinem Ende näher als
zuvor, denn ich war verlassen von Erinnerungen und Hoffnungen. Doch es
hielt mich ein Gedanke: Dieser Zustand, so schwarz, so finster, so
sinnverlassen, dieser Zustand war die Wahrheit. Die Wahrheit, die ich
verdiente.«
Dante und Don Quijote schwiegen beide längere Zeit. Die Hunde bellten
andere Hunde freudig an und zogen an ihren Leinen. In diesem Augenblick
zeigte Dantes Telefonino eine, wie es der Don nannte, Sado-Maso-Massage an.
Vorsicht, Achtung vor Terroranschlägen. Nicht weitergehen! BBC. »Was heißt
BBC?«, wollte der Spanier wissen. »Beata Beatrice Celeste.«
Da! In einer Entfernung von etwa fünfzig Metern explodierte etwas. Polizei
und Rettungswagen waren erstaunlich rasch zur Stelle. Das Gelände wurde
weiträumig abgesperrt,ohne dass die beiden zu entscheiden vermochten, ob
jemand verletzt oder getötet sei. Die Hunde hörten nicht auf zu bellen.
Beamte forderten beide auf, sich der Absperrung nicht zu nähern.

Fortsetzung folgt…

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