Pandemiefolgen

Vom ausbleibenden Fortschritt in der Pandemiebewältigung

Vom ausbleibenden Fortschritt in der Pandemiebewältigung

Seit dem 18. Jahrhundert durchspukt eine Metapher alle gesellschaftlichen Bemühungen und Entwicklungen: der Fortschritt. Von wo und nach wohin wird mit welchen Mitteln fortgeschritten? Zunächst ging es um einen Fortschritt zur Aufklärung, verstanden als Befreiung zu selbstständigem Denken. Im 19. Jahrhundert wandelte sich Fortschritt zur technisch möglichen Zeitersparnis. Fortschritt liegt vor, wenn sich die Zeiten verkürzen, um räumliche Distanzen zu überbrücken. Die elektronische Kommunikation macht es uns vor. Mails aus Europa erreichen Asiaten auch dann, wenn diese noch schlafen. Mit dem Fortschritt rückt man einander näher. Atomraketen durchfliegen in wenigen Minuten die Distanzen von Kontinenten, und Fortschritt, der uns einander annähert, kann auf Zerstörung hinauslaufen.

Im Bereich der Mobilität erweist sich Fortschritt inzwischen als Rückschritt. Erreichte man im 17. Jahrhundert mit einer Kutsche vom nördlichen Paris Notre Dame in etwa 45 Minuten, so benötigt ein PKW tagsüber die doppelte Zeit. Jene Maxime des Liberalismus, dass ein individuelles Gut zugleich ein kollektives Gut sei, versagt im unlösbaren Verkehrstau. Wer, auf Mobilität bezogen, von Fortschritt spricht, bezeichnet zugleich den Stau.

Und wie steht es mit einer Bewältigung der Pandemie wie Covid-19? Inwiefern verhalten wir uns hier im Sinn des Fortschritts? Man hofft auf eine Impfung und vergisst dabei, dass Hoffnung die schwächstmögliche Form von Erwartung bildet. Hoffnung schließt Trug ein. Was aber hilft dann gegen die Covid-19-Pandemie? Desinfektion und Abstandhalten. Dies hatten mit Erfolg jüdische Mediziner im Mittelalter gegenüber einem Christentum vorgeschlagen, das Arzneikunst durch Glauben ersetzen wollte. Sind wir inzwischen einen Schritt weiter? Wir haben Virologie, doch diese hilft nicht, die Pandemie zu verkürzen. Die Zeit scheint still zu stehen. Noch immer wirken die alten Mittel der Desinfektion und des Abstandhaltens. Wenn es hierbei Fortschritt gäbe, dann dürfte er nunmehr nicht ausbleiben.

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