Ein politischer Fortsetzungsroman

Dante, Don Quijote, Faith-Book – Kapitel 1, Teil 3

Dante, Don Quijote, Faith-Book. Roman vom Rande jener Zeit, als die Corona-Pandemie ihr Zerstörungswerk begann

Kapitel 1, Teil 3

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Outfitdemokratie

»Vorsicht!« zischte der Spanier. »Weshalb?«, wollte der aus Florenz verbannte und dort – einst – steckbrieflich gesuchte Florentiner wissen. Es kreuze dort ein Streifenwagen. Dort, dort hinten. Halte der uns an: Wir haben noch keine in Deutschland gültigen Papiere, wir haben am Ende nichts als unsere Geschichten. Solange es noch keine Ausweispapiere gab, war jeder zuerst ein Mensch. Jetzt sei jeder zuerst Papier, Datenvernetzung, Datenabgleich. Ob er Mensch sei, sei Privatsache und ohne öffentliches Interesse. Die Folge sei ein Boom der Fälscherwerkstätten. Wer hinreichend Kohle habe, bekomme auftragsbestellte Ausweispapiere. »Was also tun?«, fragte der aus Florenz. Der aus la Mancha schlug vor: Man verhalte sich so unauffällig wie möglich. Er wisse zwar, dass dies schwierig sei. »Was schlägst du vor?« fragte Dante, der Heimatvertriebene. Als erstes schlug der Don aus la Mancha vor, man müsse die eigene Kleidung ein wenig ändern. Man müsse sie dezent historisieren. In Deutschland herrsche zwar überall Outfittoleranz, man lasse alle Kleiderstile zu und gebe sich alle Mühe in dieser universellen Outfitduldung, um zu beweisen, man habe authentische Volkssouveränität. »Outfittoleranz garantiere Demokratie, meinst du das?«, intoniert Dante sarkastisch. »Outfittoleranz garantiert Outfitdemokratie«, zwinkerte Don Quijote. »Outfitdemokratie! Erster Trefferpunkt für Don Quijana del Quijote!«, rief voller Neidbewunderung der Florentiner und fügte hinzu, dass Kleider Leute, aber keine Menschen machten. Dies akzeptiere er als Trefferpunkt Dantes, fand der Don. Dantes Eitelkeitsbarometer zeigte sogleich einen mittleren Wert an. Dante Alighieri war bekannt dafür, dass seine Vanitas gekränkt, bestätigt oder maßlos bestätigt wurde. Maßlose Bestätigung konnte er von einer Konkurrenzgesellschaft nicht erwarten, und seine Lebensarbeit bestand darin, innerlich nicht mehr von ihr abhängig zu sein. Ohne Bestätigung zu existieren, war ihm aber unmöglich, und deshalb führte er ein geheimes Tagebuch, in das er seine Eitelkeitsbestrebungen eintrug: Wer was, wann und mit welcher Intensität bestätigt hatte.

In diesem Augenblick tauchte eine Gruppe älterer Damen und Herren auf. Sie trugen Renaissancekleidung, eine Mode, wie sie etwa Franz der Erste bevorzugt haben könnte. Weinrot und hellbeige. Große, ausladende Berets. Sie versammelten sich in einem Café, sie sprachen diszipliniert und vermutlich Französisch zueinander, aber nicht miteinander. Sie wurden zu sprechenden Bildern, stets bedacht darauf, den Rahmen des Bildes nicht zu verlassen. Dante und Don Quijote überlegten. Wie wäre es, wenn auch sie sich kostümierten wie jene? Obwohl sie dann allgemein auffielen, entfiele der Verdacht, ein zu kontrollierendes Subjekt zu werden. Ihre Auffälligkeit wäre dann zugleich ihre Tarnung. Nachteil: Sie seien nur zu zweit, sie bildeten keine erweiterte Gruppe. Die Renaissancebekleideten bestätigen infolge ihrer Vielheit jene Fiktion, die sie eben bildeten.

Wie schwer es ist, im Meer der Leute sein Menschsein zu kaschieren, der Spanier und der Florentiner waren dabei, dieses Problem erst eben zu entdecken. »Und wenn wir«, so der Florentiner, »es hielten wie jene Politiker. Sie drängen sich vor, um nicht mehr aufzufallen, weil sie dazugehören?«

Gesagt, getan. Die beiden kannten einen Second-Hand-Laden, wo sie sich Kleider kauften, die ihnen ein befreundeter Schneider in romantischen Roben mühelos umarbeitete. Beide benötigten allerdings noch verschiedene Gesten, die Ehrerbietung und die Distanzierung ausdrückten. Jeder sollte dem anderen und dem Schneider vorspielen, wie sie die Gesten ausdrückten. Dante sollte Ehrerbietung zeigen. Don Quijote und der Schneider gingen an ihm vorbei und drehten sich mit dem Ausdruck leichter Bewunderung nach ihm um. Dante sollte sich leicht vorbeugen, aber nur angedeutet leicht sich verbeugen. Das fiel dem stolzen Dante schwer. Er verbeugte sich zu tief. Das sei geheuchelte Demut. Er verbeugte sich zu wenig. Das drücke Arroganz aus. Es müsste ein Dazwischen geben. Man probierte es zehnmal. Dante wurde nervös und dachte an Beatrice. Dann gab er mit einer ironischen Verbeugung angewidert auf. »Bravo!«, riefen der Schneider und der Don. Genau das sei die passende Verbeugungsrede. Dantes Vanitas-Barometer stieg auf die Hälfte seiner Leistung. »Nun die Distanzgeste«, befand Don Quijote von la Mancha. Er schlug vor, man solle beide Hände heben und Verletzlichkeit ausdrücken, die zugleich Abwehr bedeute. Dies fiel Dante weitaus leichter. Er öffnete beide Hände, hielt sie in Halshöhe. Seine Begutachter waren sehr angetan. Weil Dante vorausging, deshalb fielen dem Don die beiden Gesten weitaus leichter.

Da kam dem Schneider ein Einfall. »Ihr beide allein, auch bewaffnet mit einer Doppelgeste, könntet doch noch ein wenig zu auffällig wirken und daher die gewöhnlich unterforderte Polizei anlocken.« »Was empfiehlst du?«, wollte Dante wissen. »Zwei kleine Hunde«, war die Antwort. Don Quijote sei doch so tierlieb. Er aß weder Fleisch, noch Fisch, noch Geflügel, noch Molkereiprodukte.

Fortsetzung folgt…

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