Philosophisch-politische Fragen

Demokratie nicht als Lösung, sondern als Problem

Demokratie nicht als Lösung, sondern als Problem

Dass Demokratie der am leichtesten fassbare Begriff sei, mit dem sich alle politische Probleme mit einem Schlage lösen lassen, das wird allen gelehrt. Zu sagen, worin sie besteht, sei Gewaltenteilung, zeigt, dass das Bewusstsein geteilt bis gespalten ist. Man lebt also mit einer Bewusstseinsblockade namens Demokratie. Auch ich tat es für Jahrzehnte. Ich klagte sogar die USA dafür an, dass sie sich in den Federalist Papers ausdrücklich gegen eine Demokratie und eine Republik aussprachen. Inzwischen habe ich dazu gelernt. Der Irrtum der USA besteht nicht in ihrem Bekenntnis zur Republik. Er besteht darin, diese als Endprodukt auszugeben, statt als einen ersten, notwendigen Schritt zu weiterer Entwicklung.

Demokratie als Ende des Hinterfragens

Eine Benutzung der Wörter Demokratie und demokratisch erlaubt uns vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte, politisch zu kommunizieren und dabei auf alle Begründungen und Argumente zu verzichten. Demokratie und demokratisch sichern jedem ein Wahrheitsrecht zu, ohne selbst im Recht zu sein. Wer beide Wörter verwendet, kann beispielsweise bemerken Das ist demokratisch, oder Das ist Demokratie. Oder auch, negativ verschärft: Das ist nicht demokratisch, oder Das ist keine Demokratie. Diese vier Sätze gelten schlechthin . Sie verlangen keine Begründung. Denn irgendwo müsse man mit schlechthin Geltendem anfangen. Das Hinterfragen müsse dort enden, wo die Demokratie beginnt. Demokratie ist der Ausdruck eines absoluten Wertes. Man könne über alles diskutieren, aber nicht über Demokratie oder demokratisch. Ich bewerte dies als einen folgenreichen Denkfehler, nämlich als demokratischen Dogmatismus.

Im Jahre 2004 erschien in Cambridge das Bändchen Post-Democracy von Colin Crouch. Seine Botschaft: Die staatlich öffentlichen Einrichtungen werden – wie ich es nenne – durch Lobbykratie ersetzt. Die Belange des Demos, der Bevölkerung eines Landes, werde von privaten Unternehmen bestimmt. Unter dem Namen von Gemeinwohl werde das Privatwohl maßgeblich. Damit hängt ebenfalls zusammen, dass sich demokratisch inzwischen im Sinn von plural verwendet wird. Unter plural und demokratisch fallen auch Profiteure, deren es um ihren Gewinn auf Kosten anderer geht. Dies fällt insofern nicht mehr auf, als Grenzvermessungen zwischen Demokratie und Lobbykratie inzwischen kaum noch betrieben werden. Colin Crouch schreibt 2015 ebenfalls: „das Wissen neu definiert: Wertvoll ist nur, was dem Markt beziehungsweise der Privatwirtschaft nützt.“ Es gelte ferner, „dass Wirtschaftseliten den Zugang zu Informationen und Wissen kontrollieren und beides auf eine ihren Interessen förderliche Weise manipulieren können.“ Privatwirtschaftlich arbeitende Kanzleien werden mit Großaufträgen fast regelmäßig für Ministerien betraut. 2020 waren in Deutschland fast 500.000 Personen daran beteiligt. Bekannt sind auch die Probleme einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft, die der Staatsverschuldung entgegenwirken soll. Hierbei kommt es, unter Klauseln der Geheimhaltung, zu Kostendifferenzen, die beim Endpreis häufig erheblich zu Ungunsten der Staaten ausfallen, weil die privaten Kreditkosten höher ausfallen als die des Staates.

Demokratie im antiken Athen

Die Athener hatten eine gespaltene Vorstellung von populärer Herrschaft. Sie lief auf Verdeckte Alleinherrschaft (Perikles) und ebenso der Redefreiheit und Gleichberechtigung. Diese Spaltung glichen sie nicht aus. Die Demokratie stand im Verdacht, eine verdeckte Alleinherrschaft des Perikles zu sein. „Es war dem Namen eine Demokratie, der Sache nach aber war es die Herrschaft (arché) des ersten Mannes“, sagte man in Athen in demokratischer Zeit, wie der berühmte Historiker Thukydides schreibt.

Die antike Demokratie war die Herrschaft von etwa 15% der männlich Gesamt-Bevölkerung: Ausgeklammert waren die Frauen, die Sklaven und die Ausländer ohne Stimmrecht. Somit eine nach modernen Konzepten rassistische Herrschaft, welche die Gesamtheit des Volkes von der Herrschaft ausschloss.

Wenn man vieles von der athenischen Demokratie lernen kann, so scheidet sie aber als Modell für unsere Staaten aus.

Gewaltenteilung?

Diese Vorstellung bietet ein Bild einer funktionierenden Demokratie. Es gibt verschiedene Gewalten in einem Staat und erst deren Zusammenspiel ergibt das Bild einer funktionierenden Demokratie. Der Gedanke geht auf Montesquieu zurück. Er gab uns ein Gedankengebäude, „das man lange als Theorie der Gewaltenteilung, als Theorie der Separation der Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative in voneinander abgeschottete Teilgewalten fehlgedeutet hat. Richtig aber ist es, Montesquieus Konstruktion als „Gewaltenverteilung und Gewaltenbalance zu begreifen.“ Der Einfluss der Gesetzgebung, der Gesetzesausführung und der Justiz wird zugestanden. Er gehört zur „Demokratie“, macht diese aber noch nicht aus.

Man spricht von „Gewalten(ver)teilung“, lässt aber die Funktion fort, auf die es letztlich bei einer Verteilung der Gewalten ankommt: den Gewaltenverteiler. Ohne einen Gewaltenverteiler, der in einem Amt bestehen müsste, können die drei Gewalten tun, ohne dass jemand sie hindert. Ohne dass es jemanden gibt, einer oder ein Gremium, der über die drei Gewalten verfügt, kommt eine Gesetzgebung des gesamten Staates nicht zustande. Ohne Gesetzgeber ließe sich am Ende kein Staat einrichten. Nun ja: Ohne einen Gewaltenverteiler, ohne Gewaltenverteilzentrum scheint sich die Legislative und ebenso die Judikative jeweils ungesetzlichen Einfluss anzumaßen. Die Legislative verhält sich exekutiv. Die Judikative verhält sich gleichermaßen als ausführende Gewalt. Den Gedanken einer Gewaltendifferenzierung gab es bereits in der Antike. Im 18. Jahrhundert verbreitete er sich durch das Werk eines Montesquieu. Hat er Probleme eines Gewaltenverteilzentrums gesehen? Er notiert an einer Stelle seines zweibändigen Werkes Über den des Geist der Gesetze: „Die Demokratie und die Aristokratie sind in ihrem Wesen keine freien Staaten. Die politische Freiheit findet sich nur in moderaten Regierungen; sie gibt es dort, solange man die Macht nicht missbraucht; aber es ist eine dauerhafte Erfahrung, dass jede Person dazu gebracht wird, sie zu missbrauchen.“ Sich moderat zu verhalten ergibt einen Appell, doch kein moderates Verhalten. Denn wo politische Macht am Werke ist, führt sie zu Missbrauch. Gibt es dagegen kein Mittel? Montesquieu schlägt vor: „Damit man Macht nicht missbrauchen kann, ist es erforderlich, mithilfe einer Disposition der Verhältnisse, dass die Macht die Macht aufhält.“ Jetzt verschiebt sich die Argumentation. Es geht um ein Aufhalten der Macht durch Macht. Das Mittel lautet nunmehr „Disposition der Verhältnisse“ (disposition des choses). Worin diese Disposition bestehen soll, darüber erfahren wir nichts. Eigentlich hätte er uns einen Gewaltverteiler oder etwas Vergleichbares nennen müssen. Doch er weicht aus. Eine Verteilung der Gewalten ergibt eine bürokratische Lösung für ein politisches Grundsatzproblem.

Gewaltenteilung meint entweder Gewaltenverteilung und weicht damit einem Verteiler aller Gewalten auf bürokratische Weise aus. Oder man besteht auf Gewaltenteilung, ohne dass eine übergeordnete Gewalteinheit besteht. Dann wird es Konflikte geben und es gibt niemand, der sie löst. Gewaltenteilung führt entweder auf Bürokratie oder am Ende zu Bürgerkrieg. Einen Weg, diesen zu vermeiden, hat sich 1958 in Frankreich mit der Gründung der 5. Republik ereignet. Es gibt in Frankreich einen Gewaltverteiler: Der Präsident und die französische Staatsbürokratie. Mit beiden bekommt die Exekutive eine Art Vormachtstellung. Auch über den Einsatz von Kernwaffen entscheidet allein der Präsident. Diese Bündelung aller Gewalten folgt nicht etwa einer demokratischen, sondern einer republikanischen Tradition.

Rechtsstaat?

Die Berufung auf einen Rechtsstaat bildet eine deutsche Besonderheit, die sich auch mit der angelsächsischen Bezeichnung einer „rule of law“ nicht angemessen wiedergeben lässt. Die in England ausgeprägte „rule of law“ war nicht die Quelle, sondern Folge individueller Rechte. In Deutschland bezeichnet Rechtsstaat „eine Unterwerfung der gesamten Staatsgewalt unter das Recht.“ Was aber meint „Recht“ in diesem Fall? Das deutsche Grundgesetz ist der Würdeachtung verpflichtet. Ohne Achtung der Menschenwürde kein Recht und ohne Recht keine Achtung der Menschenwürde. Doch an dieser Stelle regen sich Zweifel an der Konzeption des deutschen Grundgesetzes: Wie steht es mit Menschen, die in Deutschland leben, die jedoch keinen Pass, keine Arbeitserlaubnis, keine Geburt in Deutschland und die anderswo vorbestraft wurden? Ist auch deren Würde uneingeschränkt zu achten? Man könnte antworten: In einem naturrechtlichen Sinn Ja, in einem staatsrechtlichen sind sie lediglich eingeschränkt schutzwürdig. Naturrechtlich sind Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland kraft ihrer Menschenwürde geschützt. Doch das hier geltende Recht verlangt Einschränkungen. Ich selbst bin 2006 diesem Problem nachgegangen und gelangte zu dem sprechenden Titel Die Menschenwürde im Zeitalter ihrer Abschaffung. Der Unterschied zwischen naturrechtlich unbedingter Würde und staatsrechtlich bedingter Würde macht vermutlich jeden stutzig, der sich mit diesem Thema beschäftigt.

Ich hatte 2006 vorgeschlagen, die Formulierung des Grundgesetzes „Die Menschenwürde ist unantastbar“ durch eine andere Formulierung zu ersetzen. Sie lautet: Keines Menschen Würde darf angetastet werden. Doch diesem Vorschlag folgte man nicht. Weshalb nicht? Weil mit der Würde des Menschen Zusätze vereinbar sind. Zusätze, die seine Legitimation (ein Dokument über seine Identität) oder seine soziale Daseinsberechtigung (Arbeitsnachweis) und anderes mehr belegen. Wer sich nicht ausweisen kann, mag als Mensch zählen, nicht aber als Staatsbürger. Und ein Staat ist für seine Bürgerinnen und Bürger da, nicht für die Menschen. Als Mensch bewohnt er die Erde. Als Bürger einen Staat. Die Erde ist größer als jeder Staat. Alle Staaten zusammen bilden nicht die Erde. Alle Staaten sind anfällig für Staatsverfall.

Man ist der Ansicht, das Grundgesetz habe eine Vorordnung des Menschen von den Bürgern definitiv gelöst. Es gilt mit der Verpflichtung auf die Würde des Menschen als ein unantastbar heiliger Tempel, der jede Diskrepanz zwischen Ethik und Politik zumindest in Deutschland endgültig ausräumt. Das Gegenteil ist der Fall. Politische Tätigkeit möchte elastisch bleiben. Deshalb definiert der französische Dichter Paul Valéry die Politik einmal wie folgt: „Die Politik ist die Kunst, die Leute daran zu hindern, sich in das einzumischen, was sie angeht.“ Politik verlangt Einmischung. Doch wem es gelingt, die Staatsbürger davon abzuhalten, sich in das, was alle angeht, einzumischen, der scheint das politische Spiel eher zu gewinnen als jene, die jenes Recht nutzen möchten.

Sozialstaat?

Ein Sozialstaat hat die Aufgabe, für das Wohlergehen seiner Mitglieder zu sorgen. Da nun aber die Staatsbevölkerung insofern frei ist, als sie selbst für ihr eigenes Wohlergehen sorgt und sorgen soll, so entsteht leicht eine Dissonanz und Divergenz. Jeder ist verantwortlich für sein Wohlergehen. Scheitert er jedoch daran, dann fragt sich, ob der Staat die Verantwortung trägt. Die Pandemie zeigt: Der Staat nimmt diese Verantwortung wahr und ist dabei, die einsetzende Versorgungsnot der Bevölkerung zu mildern. Doch weil zunehmend Steuereinnahmen zu fehlen beginnen, ist die staatliche Milderung der Insolvenzen begrenzt, je länger sich die Pandemie hinzieht.

Die Divergenz von Eigenvorsorge und ausgleichendem Sozialstaat, zeigt sich an einem Phänomen der Not, das aber unkommentiert ständig berichtet wird, nämlich der Armut. Auch ein reiches Land wie Deutschland ist beständig zugleich arm. 2016 waren etwa 16% der Bevölkerung armutsgefährdet. Zugleich konzentriert sich bei einem einzigen Prozent der Bevölkerung in Deutschland mehr als 30% des Wohlstands. Das ergibt ein 2018 herausgegebenes Projekt der Forschung zur Armut. Dies lässt sich auf zweierlei Weise kommentieren. Entweder entsteht Armut trotz Sozialstaat. Oder der Sozialstaat ist die Ursache für die Armut in der Gesellschaft. In jedem Fall ist ein wohlhabendes Land wie Deutschland nicht in der Lage, Armut erheblich zu verringern. Doch die Pandemie vergrößert das soziale Armutsrisiko und verschleiert zugleich seine Erklärung. Denn nunmehr wird der gesamte Mittelstand ebenfalls armutsgefährdet.

Volkssouveränität?

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ heißt im deutschen Grundgesetz (§20.2). Damit wird Volkssouveränität ausgedrückt. In der Renaissance definierte Jean Bodin Souveränität als „die höchste Macht über Bürger und Untertanen, welche von Gesetzen befreit ist“ Im Lateinischen gibt es kein Äquivalent für das Wort Souveränität. Bodin nennt sie „maiestas“, im Sinn von „Hoheit“, um dann überaus präzise fortzufahren: Hoheit ist die höchste Macht über Bürger und Untertaten, sofern von den Gesetzen gelöst ist. „Maiestas est summa in cives ac subditos legibus soluta potestas.“ Bodin fügte hinzu: Souverän ist nur derjenige, der allein Gott als Größeren über sich anerkennt.“ Bodin liefert hiermit eine Antwort auf jene später bei Montesquieu offen gebliebene Frage nach einem zentralen Verteiler aller Gewalten des Staates. Man bezeichnet seinen Vorschlag als Absolutismus. Denn der Souverän steht nunmehr außerhalb des Gesetzes. Es entscheidet abgelöst von den Gesetzen.

Man beschäftigt sich viel mit der NS-Zeit. Kaum einer wird jedoch wissen, was dort am 20. August 1942 geschah, nämlich die Einsetzung des Führers im Bereich des Beamten-, Richter- und Soldatenrechts in seiner Stellung als princeps legibus solutus. Hitler war somit die Wiederkehr der absolutistischen Fürstensouveränität in der Weimarer Verfassung einer Republik.

Drei Jahrhunderte später als Bodin ersetzte Rousseau die fürstliche Souveränität durch die des Volkes, das sich selber Gesetze gibt, verbunden mit einem Kompetenzvorbehalt, wonach alle Staatsentscheidungen abhängig bleiben von der Zustimmung des Volkes.

Volkssouveränität wird ähnlich selbstverständlich wie zuvor monarchisch-absolutistische Souveränität verwendet. Das Konzept monarchisch-absolutistischer Souveränität ist insofern einsichtig, als sie von einer einzigen Person ausgeht, die über einen eigenen Willen verfügt. Dieser Wille ist zugleich autonom und insofern nicht von anderen Bedingungen außerhalb der monarchischen Person abhängig. Doch inwiefern vermag er über andere zu herrschen? Was gibt einer Einzelperson das Recht, über andere zu herrschen? Doch diese Frage gilt ähnlich für das Recht aller auf Herrschaft. Einer hat nicht das Recht über die Gesamtbevölkerung. Der Bevölkerung wiederum fehlt die Einheit eines Gesamtsubjekts, das alles über alle entscheidet. Der Monarch ist ein Wille, aber ihm fehlt das Herrschaftsrecht über andere. Das Volk ist eine Vielheit, und ihr fehlt die subjektive Einzelheit eines Willens.

Wahlen?

Aus Wahlen gehen Regierungen hervor. Viele wählen wenige Repräsentanten. Der strikte Begriff der Repräsentation ist jedoch asymmetrisch: A ist dann Repräsentant von B, wenn A genau dasjenige ausführt, was B von ihm verlangt. Das aber würde Politik unmöglich werden lassen. Politische Repräsentanten des Volkes folgen daher ihrem eigenen Willen, von dem sie zugleich annehmen, dass er dem Willen der Bevölkerung entspricht. Daher verschiebt sich Repräsentation auf akzeptierte Repräsentation. Die Volksvertreter müssen frei von imperativischen Vorgaben sein, um dem vermuteten Willen der Bevölkerung frei zu entsprechen. Vielleicht sollte auch Repräsentation durch Akzeptanz ersetzt werden. Es steht der Bevölkerung frei, ihre Vertreter zu akzeptieren oder nicht. Politische Akzeptanz ist daher eine nicht-symmmetrische Beziehung. Sie kann angenommen oder nicht genommen werden. Der erhebliche Werbeaufwand soll die Bevölkerung zwar manipulieren. Doch das gelingt, wie bei aller Werbung, nur in einem geringen Maß. Der Anteil der abgegebenen Stimmen bei Wahlen differiert deutlich von der Stimmenzahl der Bevölkerung.

Auch wenn Wahlen allgemein erfolgen (und insofern nicht von Besitz, Geschlecht usw. abhängen); auch wenn sie gleich sind (und nicht mehrfach zählen); auch wenn sie direkt erfolgen (ohne z. B. Wahlmänner); auch wenn sie geheim sind (ohne von anderen erkennbar beeinflusst sind), so ändert dies nichts am nicht-symmetrischen Charakter der Wahlen und ihrer privatwirtschaftlichen Vermarktung.

Wahlen, die alle angehen, gehen in einen privatwirtschaftlichen Verwertungsmodus über. Wer über weniger monetäre Mittel verfügt, wird Verlierer, noch bevor der Wahlausgang entscheidet. Und die Millionen derer, die sich der Wahl enthalten, sie zählen ebenfalls. Doch als was zählen sie?

Lincolns Demokratie und eine akademische Demokratiedefintion

Zwei Definitionen von Demokratie seien herausgegriffen. Eine historisch bedeutsame und eine akademische. Abraham Lincoln definierte 1863 Demokratie als „government of the people, by the the people, and for the people.“

Of the people: Das Staatsvolk kümmert sich öffentlich um sich selbst.

By the people: Es ist als ganzes aktiv.

For the people: Es geht ihm um alle seine öffentlichen Belange.

Lincoln war nun, wie alle, die „Demokratie“ als Regierungsform fassen, davon überzeugt, dass diese drei mit Hilfe von Präpositionen ausgedrückten Bezüge sich nur dann erreichen lassen, wenn eine Regierung dafür sorgt, dass sie erreicht werden. Das aber entspricht der den Athern bekannten verdeckten Alleinherrschaft des Perikles. Man sagt d, meint aber die versteckte alleinherrhaft einer führungsposition.

Interessant ist, dass die Verfassungstext der 5. französischen Republik von 1958 Lincolns drei Bezüge aufgreift, ohne sie als Zitat zu markieren: „Sein Prinzip ist: Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk.“ Der Staat ist eine Republik, von der gilt, das sie sich in „demokratischer Entwicklung“ befindet.

Die Betontung der Entwicklung ist richtig, aber seit 1958 hat sich die Republik nicht weitereintwickelt. Die französische 5. Republik ist 63 Jahre alt, entwickelte sich aber nicht weiter in Richtung auf mehr volksbestimmte Herrschaft.

Die akademische Definition lautet: Demokratie ist eine „Staatsverfassung von Klein- und Flächenstaaten, in der die Herrschaft auf der Basis politischer Freiheit und Gleichheit, sowie weit reichender politischer Beteiligungsrechte der Bevölkerung im Erwachsenenalter mittel- oder unmittelbar aus dem Staatsvolk hervorgeht, in wettbewerblich organisierten Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen erörtert und unter Berufung auf das Interesse der Gesamtheit oder der Mehrheit der Stimmberechtigten ausgeübt wird, und zwar unter dem Damoklesschwert der Abwahl der Regierenden durch das Volk oder dessen Vertreter.“ Diese Definition umfasst 69 Wörter. Sie möchte umfassend sein. Sie setzt sich aus mehreren Teilen zusammen: Herrschaft, die Herrschaftsbeziehung, Herrschaftsvoraussetzungen und schließlich das Herrschaftsergebnis. Sofern man die Herrschaftsbeziehung, die Herrschaftsvoraussetzungen und das Herrschaftsergebnis als eher unstrittige Elemente ausklammert, so beruht sie auf einer vorausgesetzten Herrschaft. Die demokratische Herrschaft soll „auf der Basis politischer Freiheit und Gleichheit“ geschehen. Daran wird man zunächst nichts Unverfängliches finden. Doch bei näherem Hinsehen können Zweifel aufkommen. Was heißt „auf der Basis von etwas“? Wenn ein Medikament „auf der Basis einer Rezeptur“ in den Handel gelangt, wenn ein Film „auf der Basis eines Romans“ in die Kinos gelangt, so gilt dabei: Es kommen jeweils noch andere Elemente hinzu, die jedoch nicht genannt werden. „Auf der Basis von“ schließt die Verwendung anderer, nicht genannter Bestandteile ein. Vermutlich handelt es sich um Einschränkungen der politischen Freiheit und Gleichheit. Diese Vermutung erscheint insofern gerechtfertigt, als die Herrschaft über die Art der gesellschaftlichen Bedürfnisse und die Möglichkeiten ihrer Befriedigung bestimmt. Daher sind Freiheit und Gleichheit keine Gegebenheiten, sondern sie werden erst durch die Herrschaft gestiftet. Demokratie wäre dann die gesellschaftliche Nutzungsmöglichkeit von Freiheit und Gleichheit, sofern sie von der Staatsherrschaft bereitgestellt werden. Eine solche Herrschaft ist jedoch nicht demokratisch, sondern republikanisch. Die Beziehung zwischen Staatsvolk und Regierung bleibt asymmetrisch. Die Regierung stellt die Güter von Freiheit und Gleichheit bereit, die Gesellschaft nutzt sie.

Nun weiß jedoch jeder, dass Gleichheit und Freiheit Gegensätze bilden. Je mehr Gleichheit besteht,desto weniger Freiheit ist möglich. Und je mehr Freiheit besteht, desto weniger Gleichheit ist möglich. Für eine demokratische Herrschaft ergibt sich daraus, dass eben dieser Gegensatz so zu kontrollieren ist, dass er der Gesellschaft keinen Schaden zufügt. Wie dies geschieht, ist eine offenen Frage.

Beide Definitionen der Demokratie setzen einen Herrschaftszusammenhang voraus. Sie verwandeln eine demokratische Herrschaft in eine republikanische. Dies gilt auch für den ältesten Demokratietheoretiker Aristoteles. Er fand, in einer Demokratie möchte jeder so frei bleiben wie möglich. Für eine Staatsverfassung ergibt sich daraus: Eine Art der Herrschaft, die dann nötig wird, wenn alle so frei wie ohne die Herrschaft bleiben. Eine solche Herrschaft definiert eine republikanishe Herrschaft.

Radikale Demokratietheorie?

Radikaldemokratie: Der Ausdruck spricht einen Wunsch aus, sich von den parlamentarisch erstarrten Republiken durch die Option zu entlasten, eine Vielheit von „demokratischen“ Optionen ins Spiel zu bringen. Sie stellen Gewohntes in Frage, sie stellen keine Wesensfragen mehr (und sind insofern post-essentialistisch) und sie bejahen das, was zufällig auftritt. Ob sie Einfluss auf politische Entscheidungen haben, ist angesichts ihrer Uneinigkeit fraglich.

Die andere Bedeutung von Demokratie

Was könnte die andere Bedeutung von Demokratie sein, der aber nicht ausgesprochen wird? Es ist das wirtschaftliche Wachstum als notwendige und hinreichende Voraussetzung der Finanzierung unseres auf Üppigkeit ausgerichteten Lebensstils. Das hatte Colin Crouch im Auge, als er Demokratie als sinngemäß mit Lobbykratie übersetzte.

Die volonté générale bei Rousseau wandelt sich zu einem grenzenlosen Recht aller auf Bedürfnisbefriedigung. Inzwischen wurde auch ein Tarnwort für Wachstum erfunden, nämlich Nachhaltigkeit. Es soll soviel Wachstum geben, dass künftig zu keiner zeit das Wachsen beendet sein wird. Die gesamte Bevölkerung will ihren Wohlstand und immer mehr Wohlstand. Da es alle wollen, beauftragt der Demos die Politiker, in seinem Sinn den Wohlstand beständig zu garantieren. Sicherlich kommt der Wohlstand nicht allen zu gute, aber es reicht das Bewusstsein aller Betroffenen, dass er allen nützt. Auch die Globalisierung nützt allen und kommt nur wenigen zu gute. Demokratie bekommt den Sinn, der von der Gesamtbevölkerung gewollte Wohlstand zu sein. Demokratie wird zur in alle Zukunft ausgedehnten Wohlstandsgarantie.

Wenn das wirtschaftliche Wachstum aber zu einer ruinösen Übernutzung des Planeten führt, was wäre dann die Gegenmöglichkeit? Ich antworte mit der Legitimität. Sie müsste der Demokratie vorausgehen: Ist es legitim, einen Lebensstil zu praktizieren, der uns Erderhitzung, Vergiftung, Desertifizierung, Artensterben bringt und der uns den Einsatz von Atomwaffen zur Verteidigung unseres Lebensstils erlaubt? Die Warnungen der Klimaforscher, wie zum Beispiel Johan Rockström in Schweden, werden von Tag zu Tag bedrohlicher.

Legitimation als Distanz zur Macht und ihre Chancen auf volksbestimmte Herrschaft. Das beschreibt jene Utopie des Protestes gegen einen Lebensstil des Totalkonsumerismus.

Man sollte diesen Prostest dauerhaft beibehalten, andernfalls erstickt menschlicher politischer Erfindungsgeist in jenem Anthropozän, der alle Erscheinungen zu Produkten erklärt. Dahinter steht die Gleichung des Anthropozäns: alles, was für den Menschen ist, zählt nur insofern, als es durch den Menschen existiert. Das Anthropozän erweist sich als eine Gefahr für die Menschengattung. Es verspricht mit dem unbegrenzten Wachstum eines Lebensstils, der zwischen Bedürfnissen und Luxus nicht mehr unterscheiden will, ein Spiel, bei dem man laufend und auf Dauer gewinnt, jedoch nur scheinbar.

Der Zustand des Planeten im Zustand der Erhitzung sorgt für das Ende der Bodennutzung, für das Sterben lebenswichtiger Arten, das Ende des Golfstroms, das Ende der großen Hafenstädte infolge Überflutungen. Das Anthropozän enthält die Aufschrift: well-being. Öffnet man die Verpackung, so liest man: ill-being. Das Anthropozän verspricht Totalgewinn, indem es Totalverlust enthält. Anthropozän reimt sich auf: Arsen.

Die Funktion der Kunst im Anthropozän

Mit der Utopie des Protests gegen einen Lebensstil des Totalkonsumerismus hängt noch etwas anderes zusammen, nämlich die Rolle der Literatur, der Poesie und aller Art Kunst einschließlich des Films. Diese nämlich haben die Aufgabe zu fragen: Wie kam es zu einem Totalkonsumerismus? Und: Warum folgen alle politischen Entscheidungen blind den Wachstumsvorgaben des Totalkonsumerismus? Und schließlich: Wie erklärt es sich, dass eine einst religionsbestimmende (nicht: religionsbestimmte) Kunst zur Unterhaltung degenerierte? Eine konsumeristische Gesellschaft tut alles, um diese Fragen weder zu stellen noch zu beantworten. Die Kunst wird von einer ebenfalls grenzenlos wachsenden Krake der Unterhaltung, des Entertainments, der beständigen Abwechslung und beliebiger Moden, gelockt und bedroht.

Wenn Kunst und Literatur nicht nachlassen, jene drei Fragen zu stellen, und eine Gesellschaft stören und verstören, die sich dem Konsumerismus verschrieb, halten sie zugleich die Frage nach einer ehrlichen volksbestimmten Herrschaft offen. Man kann es auch noch anders formulieren: Wenn wir, die Nachdenklichen, heute zwischen einer Geschichte stehen, die mit dem Eintritt aller in einen Totalkonsumerismus beendet wurde, so kann es ja möglich sein, dass man paradox in die Zukunft zurückstrebt, um jene Geschichte fortzusetzen. Darin läge die Chance aller, denn der Weg des totalen Konsumerismus entzieht allen Menschen durch Übernutzung die Lebensgrundlage.

Zwei weitere Grundprobleme der Demokratie

Auch wenn die anderen wunden Punkte über Demokratie geklärt sind, so bleiben dennoch zwei Aspekte, über die man gern schweigt, sofern man demokratischer Dogmatiker sein möchte: 1. Wie ist es möglich, dass ein Volk über sich herrscht? Alle vermögen nicht über alle zu herrschen. Herrschaft setzt voraus, dass wenige über die Mehrheit herrschen. Das ist eine Struktur, die keine Demokratie auszuhebeln vermag. Es handelt sich um eine Paradoxie, für deren Lösung Rousseau letztlich eine Antwort vorschlug, die keine Lösung bietet. Rousseau konzipierte einen nahezu übermenschlichen Gesetzgeber, der allerdings kein politisches Amt übernehmen soll.

Dann aber fragt sich: Wie aber stehen Gesetzgeber und Volk zueinander? Muss es nicht ein Drittes geben, das beide in Beziehung zueinander setzt? Wer oder was herrscht nunmehr? Rousseau scheint nämlich von einem Gegensatz auszugehen, der keiner vermittelnden Instanz bedarf. Es kann auf das Gesetz nicht verzichtet werden, das alles für alle im Namen aller regelt. Es kann ebenso auf das Volk nicht verzichtet werden, denn Gesetze sind um des Volkes willen da. Es kann auf einen Vermittler nicht verzichtet werden, der um einen Ausgleich bemüht ist. Jeder will sein Recht, und nichts Rechtes setzt sich durch.

Die oben beschriebene Logik verlangt deshalb einen zentralen Gewaltenverteiler. Angenommen, es findet eine Einigung auf ihn statt. Dann besäße er die verlange Staatshoheit. Dann aber kämen weder das Volk noch Gesetzgeber noch beide gemeinsam zum Zuge. Auf der Suche nach Voraussetzungen der Hoheit des Volkes geht diese verloren. Machtloses Gesetz steht gesetzloser Macht gegenüber. Zwischen beiden steht das Dritte. Ihm kommt die Herrschaft zu, wenn weder das Gesetz noch das Volk zur Herrschaft berufen ist. Ohne den ebenso göttlichen wie machtlosen Gesetzgeber kann es Rousseau zufolge nicht zu jener Volkshoheit kommen. Mit einem Gesetzgeber entsteht die Konsequenz einer Herrschaft des Dritten. Doch sie sollte Rousseau zufolge ausgeschlossen sein. Rousseau war der Ansicht: wenn dem Volk gesetze aufgestellt werde, dann richte das volk sich automatisch nach ihnen. Der gesetzgeber teilt dem Volk nur das begründete gesetzliche Wissen mit. Hier unterschätzte Rousseau die Neigung innerhalb der Bevölkerung, das Gesetz mit allen Mitteln zu umgehen. In dieser Hinsicht hat Rousseau sich getäuscht. Von Bismarck ist überliefert, dass es mit Gesetzen wie mit Würstchen bestellt ist. Es sei besser, wenn man nicht sieht, wie sie gemacht werden. Die Herrschaft eines Dritten ist bei Rousseau nicht vorgesehen. Doch sie kann sich ereignen. Napoleon I. und Napoleon III. setzten beide auf Staatsstreich. Sie zogen an Rousseau vorbei.

In der Antike fragte man: Wie würde man sich verhalten, wenn es plötzlich keine Gesetze mehr gäbe? Und man antwortete: Es gäbe eine Entfesselung von Gewalt. Die Skrupellosen würden sich durchsetzen, denn ihre Übergriffe würden nicht mehr geahndet werden. Allerdings gäbe es eine einzige Ausnahme: eine kleine gruppe würde sich genauso ohne gesetze wie mit gesetzen verhalten. Das seien die Philosophen. Dieses idealisierte Bild beruht jedoch auf einer idealisierenden Propaganda für Philosophie und widersprach durch dem feindseligen Verhalten der Philosophen zueinander.

Es gibt noch ein zweites Grundproblem. Wie ist es möglich, dass eine Demokratie das eigene Staatsvolk und insofern seine Individuen schont, wenn zugleich gelten soll, dass allein die Geseztesordnung selber, ohne rücksicht auf individuelle Meinungen und Bewertungen die Demokratie ausmacht? Während man den einwand gegen den gesetzgeber Rousseaus erneut erhebt, ist der zweite Einwand kaum in die politische Diskussion eingedrungen. Er wurde einmal von Hegel zu Anfang des 19. Jahrhunderts formuliert, blieb aber innerhalb der Philosophie. Dabei enthält er eine Sprengkraft, die mit dem konzept der Demokratie verbunden ist. Er lautet: In einer Demokratie müssten sich alle gesetzeskonform in Einstellung und Verhalten ausdrücken. Die Verfassung müsse gleich sein und bleiben. Jede abweichung sei Verrat an der Selbstidentität der Gesetze. Abweichler müssten sofort mit dem Tode bestraft werden. Hegel meinte, dass zumindest am Ende der Jakobinerherrschaft 1794 in Frankreich eine politische Justiz geherrscht habe, die sich schließlich gegen die eigene Bevölkerung gerichtet habe.

Wie kommt eine Demokratie mit beiden Einwänden zurecht? Dass es keinen übermenschlichen Gesetzgeber gibt, nach dessen Gesetzen sich alle automatisch richten, ist klar. Das Gesetz muss diejenigen in Schach halten, die gegen es verstoßen. Wenn es aber eine Gesetzesdemokratie gibt, so kann diese nicht so praktiziert werden, dass jede Abweichung todeswürdig ist. Wie aber kann eine Gesetzesdemokratie funktionieren, in der es um richterliche Abwägung geht?

Vermutlich befinden wir uns alle in einem Prozess, in welchem es zunächst eine Herrschaft von gewählten Volksvertretern über die Mehrheit gibt. Dass alle Gewalt vom Volke ausgeht, sagt insofern nichts aus, solange sie nicht zu ihm zurückkommt. Eine Gesetzesdemokratie dieser Art ist jedoch keine Demokratie, sondern eine Republik. Die Gründungsväter der USA hatten ausdrücklich eine Republik im Unterschied zu einer Demokratie konzipiert. Auf diese Weise begegneten die Vereinigten Staaten dem Vorschlag Rousseaus, das Volk würde automatisch die vom göttlich inspirierten Gesetzgeber vorgeschlagenen Gesetze befolgen; ebenso begegneten die USA der mörderischen Vorstellung einer jakobinischen Gesetzesdemokratie, die Hegel als Ruin beschrieben hatte. Dieser politische Vorschlag zeugt von politischer Weitsicht. Das Konzept der USA war insofern Ausdruck einer politischen Gestaltung der Zukunft. Dies möchte ich hier zugunsten der Vereinigten Staaten von Amerika ausdrücklich betonen. Man lehnte mit Bedacht eine funktionsuntüchtige Demokratie zugunsten einer funktionierenden Republik ab. Leider bezeichnete man inzwischen die Republik fälschlich mit dem Namen der Demokratie, wodurch das Politische Vokabular verwirrt wurde.

Nun beging man in den usa jedoch einen Irtum, der bis heute stets gefährlicher wurde. Man verstand die Republik nicht als ein Experiment, das sich weiter entfalten sollte, sondern als eine Art Ende der politischen Geschichte. Dies ist eine fatale Fehlentwicklung, die jedoch von dem Totalkonsumerismus befördert wurde, der nichts kennt als die Totalbefriedigung aller Bedürfnisse ohne jedes erkennbare Maß.

Wozu die Erstarrung einer Republik in den Vereinigten Staaten führte, dazu genügt ein einziges Beispiel. Es handelt sich um den National Defense Authorization Act, der seit Dezember 2011 als us-Gesetz gilt: Danach ist der Präsident befugt, die Tötung von US-Bürgern anzuordnen, welche mit Terroristen in Verbindung stehen. Das Gesetz besagt zudem: Terrorismusverdächtige unterliegen der Militärjustiz; sie können unbefristet inhaftiert werden. Der Präsident darf Überwachungen ohne Gerichtsverfahren anordnen. Und die Regierung inhaftiert seit 2011 routinemäßig US-Bürger aufgrund geheimer Beweismittel.

Damit wurde eine in Großbritannien und den USA geltende Rechtssicherheit der Neuzeit, nämlich der Nachweis der Rechtmäßigkeit einer Inhaftierung (sog Habeas-corpus-Klausel) außer kraft gesetzt. Man protestierte in den Vereinigten Staaten dagegen, aber ohne Erfolg. Es steht also schlimm um den sog. Rechtsstaat in den Staaten. Geht es um terroristische Feinde der Republik, so zeigt sich der Staat als gesetzlose Macht. Zugleich gibt es keine akzeptierte Definition von Terrorismus.

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Wenn Völker durch eine Lobbykratie regiert werden, dann sind alle an nichts anderem als an der Befriedigung Hyperkonsum interessiert, der den Planeten weitaus schneller, als von Experten erwartet, übernutzen wird.

Ich schließe mit der Bemerkung: 1. auf dem Wege zu einer demokratieorientierten Gesellschaft ist zunächst eine Republik erforderlich. 2. Eine Republik ist eine politische Etappe, in der sich auch entscheiden wird, ob dem Totalkonsumerismus als globaler Lebensstil Einhalt geboten wird und damit die ruinösen Folgen einer Übernutzung des Planeten verhindert werden kann. Während überall Wohlstandszunahmen, verbunden mit Verelendungen, zu beobachten sind, weisen die Klimaforscher auf die Wolken hin, die den Wohlstandshorizont unumkehrbar verfinstern.

Literatur

Böhnke, Petra, Jörg Dittmann, Jan Goebel Hrsg, Handbuch Armut. Opladen/Toronto 2018

Crouch, Colin, Post-Democracy. Cambridge 2004

Crouch, Colin, Die bezifferbare Welt. Berlin 2015

Erhard Denninger, Staatsrecht 1, Reinbek 1973 (136: Hitler als legibus solutus)

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1952

Burkhard Liebsch/Bernhard H. F. Taureck, Trostlose Vernunft? Hamburg 2021

Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien. Wiesbaden 2006

Taureck, Bernhard H. F, Die Menschenwürde im Zeitalter ihrer Abschaffung. Hamburg 2006

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