Philosophisch-politische Fragen

Goethe über Fakenews

Goethe über Fakenews

Goethe, obwohl geachtet von Philosophen seiner Zeit wie Hegel oder Schelling, wollte selbst kein Philosoph sein; doch seine Einsichten reichen nicht selten viel weiter als die der Fachphilosophen. Goethe besaß einen scharfen Außenblick auf die Philosophie. Er ließ sich keine Philosophie vormachen. Er spottete über sie und nahm sie zugleich ernst.

Ich greife lediglich zwei seiner Einsichten heraus. Sie sind weitaus verständlicher als Sätze der Philosophen und dennoch bereichern sie die Philosophie. Erste Einsicht: »Die Wahrheit widerspricht unserer Natur, der Irrtum nicht, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: die Wahrheit fordert, dass wir uns für beschränkt erkennen sollen, der Irrtum schmeichelt uns, wir seien auf ein- oder andere Weise unbegrenzt.« Wie man dies auch auslegt: Die Wahrheit ist eigentlich stärker als das irrtumsanfällige menschliche Kennen und Können. Die Wahrheit setzt uns Grenzen, die unserer Eigenliebe nicht schmeicheln. Im von uns nicht eingesehenen und nicht durchschauten Irrtum wächst unsere Macht, über alles zu urteilen ins Grenzenlose. Die Verteiler von Fakenews werden Goethes Bemerkung über die Wahrheit gar nicht mögen; und wenn sie ihn lesen, werden sie vermutlich versuchen, ihn fortzuklicken. Der Click, nicht das Wahre entscheidet in einer irrtumsgesteuerten Zivilisation über das, was gilt.

Zweite Einsicht. Es geht um das, was unserer Kultur trotz oder wegen ihres Geredes längst abhanden kam, es geht um Bildung: »Sich mitzuteilen ist Natur; Mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung.« Die hier mitgeteilte Einsicht ist so unscheinbar, dass jeder an der Philosophie Interessierte erstaunen müsste, was hier ausgedrückt wird. Wenn unserer Erstaunen, wie die Alten meinten, insofern der Anfang der Philosophie ist, als es uns unser Unwissen zeigt und zugleich unsere Wissbegierde weckt, so haben wir Grund zum Erstaunen. Bildung beruht auf der Fähigkeit und der Bereitschaft, das, was wir hören oder lesen, als solches gespeichert wird, ohne es zunächst zu bewerten. Bewertung verzerrt Gültiges. Bildung sollte vor den »likes« und »dislikes« kommen, die nicht unsere Vorteile, sondern deren Quelle bezeichnen und unser Urteil trüben.

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