Pandemiefolgen

Veränderte Reihenfolge in der Pandemie: Erst Furcht, dann Angst

Veränderte Reihenfolge in der Pandemie: Erst Furcht, dann Angst

Vermutlich arbeiten Regierungen seit langer Zeit mit einem Horizont der Angst des
Staatsvolkes. Das Handeln der Staaten läuft dann hinaus auf: Wenn Angst besteht, dann
ist sie es, die einem eine Chance zur Furcht bietet. Wenn man sich fürchtet, dann können
Maßnahmen zur Furchtverringerung greifen. Staaten erwarten von ihrer Bevölkerung
Bekundungen der Dankbarkeit dafür, dass ihnen die Angst genommen und und in Furcht
verwandelt wird, mit der jedermann umgehen kann.
Angst und Furcht sind zwei Affekte, die sich auf folgende Weise unterscheiden. Angst ist
ein Bedrohungsgefühl, ohne dass es möglich wäre, den Grund der Angst anzugeben. Im
Unterschied dazu bezeichnet Furcht ein Bedrohungsgefühl, das sich auf eine bestimmte
Bedrohung bezieht. Angst ist unbestimmte Bedrohung, Furcht richtet sich auf eine Gefahr,
gegen die es Mittel gibt, ihr auszuweichen. Hier gilt, was im Alen Testament und später
von Hegel in seinem Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft bestätigt wurde: „Die Furcht
vor dem Herrn ist der Anfang der Weisheit“ (Hiob 28.28, Psalm 11.10, Sprüche 1.7).
Regierungen kannten sich mit der Angst vor Terrorangriffen aus. Denn die Terroristen
verfolgten eine Taktik der Angsterzeugung, indem sie zu jeder beliebigen Zeit an jedem
beliebigen Ort möglichst viel Schaden anrichten wollten. Im Fall des Terrorismus soll aus
Angst Furcht werden. Ob dies letztlich wirksam möglich ist, sei dahingestellt. Doch wenn
uns einmal die Angst vor überall möglichen Anschlägen ergreift, dann sind wir bereit, die
Angst in Furcht zu verwandeln und uns zumindest wachsamer zu verhalten und ggf.
Hinweise auf verdächtiges Verhalten zur Anzeige zu bringen.
Im Fall der Pandemie greift das uralte Verfahren der Angsterzeugung und ihrer
Umwandlug in Furcht nicht. Es fehlt die Angst, und auf Furcht muss eigens verwiesen
werden. Man trägt Masken nicht aus unbestimmter Angst, sondern ganz gezielt als
Vorbeugung, um andere nicht anzustecken und um von ihnen nicht infiziert zu werden.
Steigen die Ansteckungen, dann erfolgt ein Lockdown (übrigens Begriff, der aus der
Terrorbekämpfung stammt und der bereits insofern irreführend wirkt). Was geschieht mit
dem „Lockdown‘ eigentlich? Ein extremer Ausnahmezustand entsteht: Die Gesellschaft
wurde eingefroren, der Staat wurde allmächtig.
Im Unterschied zum zuvor üblichen Angsthorizont, der zum Furchthorizont wurde, um
verringert zu werden, entfällt diese bewährte Praxis. Dem Staat wird damit eine
Entscheidungsdurchsetzung geschenkt, die in der römischen Geschichte allenfalls der
altrömische Diktator (zu lateinisch dictare: etwas mit Nachdruck sagen) besaß, allerdings
als verfassungsmäßig eng begrenzter Ausnahmezustand des Staatsnotstandes. Mit der
Pandemie geschah, noch unbemerkt und plötzlich, ein Paradigmenwechsel zu einer
gesetzlich noch ungeregelten Staatsermächtigung. Zugleich wird aus der gesellschaftlich
geregelten Furcht allmählich eine gesellschaftliche Angst. Es ist nicht die unbestimmte die
Angst vor der Ansteckung, sondern vor dem beruflichen Nichts als Folge von Insolvenzen.
Die Pandemie sorgt also für eine Umkehrung der Furchtentstehung aus Angst. Am Anfang
steht die Furcht, aus der am Ende Angst resultiert.

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